Gisela Sott, Autogrammkarte vom Beginn ihrer Karriere

Gisela Sott

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Inhalt




Leben und Wirken

Gisela Sott (* 1911 in Hannover; † 6. Januar 2002 in Frankfurt am Main) war eine deutsche Pianistin und Klavierpädagogin.

Sott war Schülerin von Heinrich Lutter und Assistentin von Alfred Hoehn. In den 1930er und 1940er Jahren zählte sie zu den besten Nachwuchs-Pianisten Deutschlands, die Kriegsereignisse vereitelten jedoch eine große Karriere. Ab 1938 wirkte sie als Lehrbeauftragte am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt. Diese Tätigkeit setzte sie nach dem Krieg an der neu gegründeten Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main fort, wo sie, seit 1971 als Professorin, bis 1982 lehrte.

Ihre Konzerttätigkeit musste Gisela Sott wegen eines Herzleidens mit der Zeit stark einschränken, 1959 tauschte sie das Konzertpodium endgültig gegen das Rundfunkstudio ein. Hier entstand eine Reihe von bemerkenswerten Einspielungen, darunter Klavierkonzerte von Britten, Tschaikowski und Skrjabin und Musik von Prokofjew und Strawinski, die von einem gleichermaßen differenzierten wie mitreißend-vitalen Klavierspiel zeugen.

Das pädagogische Erbe Gisela Sotts ist eine Synthese aus der Tradition Franz Liszts, dem Anschlagsarten-System Alfred Cortots und der Spieltechnik Alfred Hoehns, das sie zahlreichen Schülern weitergegeben hat. Nach ihrem Wirken als Hochschullehrerin war die Pianistin in Fachkreisen bekannt für ihre wertvollen Hilfestellungen bei der Meisterung spieltechnischer Probleme.

aus: Gisela Sott bei Wikipedia Inhaltsverzeichnis


Im Alter von 90 Jahren ist am 6. Januar 2002 die Pianistin Gisela Sott gestorben. Die in Hannover geborene Künstlerin wurde neben ihrer Konzerttätigkeit durch zahlreiche Rundfunkaufnahmen, insbesondere zeitgenössischer Klavierwerke bekannt. Als Klavierpädagogin wirkte sie in Frankfurt zunächst am Dr. Hoch's Konservatorium, später als Professorin an der dortigen Staatlichen Hochschule für Musik. In zahlreichen Publikationen hat sie sich mit technischen und künstlerischen Problematiken auseinander gesetzt.

Neue Musikzeitung, Februar 2002 Inhaltsverzeichnis


Wahrerin des Liszt-Erbes / Pianistin Gisela Sott gestorben

Früh schon rückte Frankfurt in die Mitte des künstlerischen Lebens von Gisela Sott. Doch geboren wurde die Pianistin 1911 in Hannover, wo sie auch aufwuchs. Dort vermittelte ihr der Liszt-Schüler Heinrich Lutter auch die Grundlagen ihres Könnens. 1934 wurde sie Schülerin, bald auch Assistentin des bekannten Pianisten Alfred Hoehn. 1938 wurde sie an die neubegründete Frankfurter Musikhochschule berufen. Hier unterrichtete sie bis 1982, seit 1971 als Professorin.

Schon 1940 durfte sie auf eine Zusammenarbeit mit Furtwängler hoffen, doch die Kriegsereignisse vereitelten die Hoffnungen auf eine große Karriere. Ihr künstlerisches Wirken nach 1945 ist vor allem in zahlreichen Rundfunkaufnahmen dokumentiert. Hier finden sich bemerkenswerte Einspielungen wie Tschaikowskys Konzert G-Dur, Brittens Konzert D-Dur oder auch das Skrjabin-Konzert. Dem Frankfurter Arzt und Journalisten Werner Bockelmann ist es zu danken, daß nicht nur dieses Konzert, sondern zahlreiche Solo- und Kammermusikaufnahmen in zwei CD- Produktionen lebendig blieben. Diese Aufnahmen und ein umfangreiches Interview in einer Fachzeitschrift sorgten reichlich verspätet dafür, daß die Künstlerin die Anerkennung fand, die ihr zustand. Es war eine große Genugtuung.

Die Zahl der Schüler, die Gisela Sott in ihrem reichen Leben betreut hat, ist kaum zu überschauen. Sie wahren das pädagogische Erbe, eine einzigartige Synthese aus der Tradition Franz Liszts, dem Anschlagsarten - System Alfred Cortots und der Spieltechnik Alfred Hoehns. Lange noch in ihrem Wirken als Hochschullehrerin galt die Pianistin in Fachkreisen als Geheimtip für die Meisterung scheinbar unüberwindlicher spieltechnischer Probleme. Mit untrüglichem Instinkt erkannte sie den Kernpunkt des Problems, fand die richtige Übung, den einzig möglichen Fingersatz.

In einer Beziehung war Gisela Sott ihrer Zeit voraus. Nie hat sie Unterricht als notwendiges Übel zum Broterwerb empfunden, stets gab sie ihr Wissen mit vollem Einsatz weiter. Ihre nimmermüde Liebe zur Musik wird nun zur Verpflichtung für die junge Generation. In diesen Tagen ist Gisela Sott im Alter von 90 Jahren gestorben.

Gerhard Schroth, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2002 Inhaltsverzeichnis


Aber das Leben war schon interessant

Robert Nemecek im Gespräch mit der Pianistin und Pädagogin Gisela Sott (*1911)


Gisela Sott in den 90er Jahren

Beim Eintreten in ihr Musikzimmer fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Auf zwei alten, eng aneinander geschmiegten Steinway-Flügeln stapeln sich ganze Berge von Noten, zwei alte Photographien mit den Konterfeis ihrer Lehrer datieren auf den Beginn und die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, und von der Wand blickt ein schon etwas ergrauter Franz Liszt auf die eindrucksvolle "Musik-Landschaft" herab. Die starke Präsenz des Übervaters aller Pianisten ist indessen kein Zufall, denn die hier wohnende Pianistin Gisela Sott, Jahrgang 1911, hat als Schülerin Heinrich Lutters, einem der letzten Liszt-Schüler, unmittelbar am Liszt-Erbe teil. In den 30er und 40er Jahren zählte sie zu den besten Nachwuchs-Pianisten Deutschlands und genoss auch als Lehrbeauftragte am Frankfurter Konservatorium, einen ausgezeichneten Ruf. Diese Tätigkeit setzte sie nach dem Krieg an der neugegründeten Hochschule fort, wo sie, zuletzt als Professorin, bis 1976 lehrte. Ihre Konzerttätigkeit musste Gisela Sott allerdings wegen eines Herzleidens mit der Zeit stark einschränken, und 1959 tauschte sie das Konzertpodium endgültig gegen das Rundfunkstudio ein. Hier entstand über die Jahre eine Reihe von bemerkenswerten Einspielungen, die schon wegen der ungewöhnlichen Werkauswahl - darunter Klavierkonzerte von Britten und Skrjabin - Beachtung verdienen. Eine 1997 angelaufene Edition will die in den Rundfunkarchiven schlummernden Aufnamen der Pianistin nun wieder zugänglich machen, und die erste CD dieser Reihe (bei FSM) - unter anderem mit Werken von Prokoffiew und Strawinsky - zeigt, daß sich die Mühe der Ausgrabung gelohnt hat. Die zwischen 1950 und 1997 entstandenen Einspielungen legen jedenfalls Zeugnis ab von einem gleichermaßen differenzierten wie mitreißend-vitalen Klavierspiel, das auch heute noch zu fesseln vermag.


Nemecek: Frau Sott, Sie wurden 1911 geboren, also drei Jahre vor Beginn des ersten Weltkriegs, und es ist daher gewiß keine Übertreibung, wenn man Sie als Zeugin des Jahrhunderts bezeichnet. Wir haben jetzt also die Möglichkeit, aus erster Hand etwas über eine Zeit zu erfahren, die uns schon unendlich fern gerückt ist. Ich möchte deshalb die seltene Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen die wichtigsten Stationen Ihres Pianistinnen-Lebens Revue passieren zu lassen. Wer waren Ihre ersten Lehrer?

Sott: Zunächst meine Mutter. Sie konnte alles, was sie einmal gehört hatte. Sie ging mit mir in den Wald und hat dort mit mir gesungen. Dann brachte sie mich - damals war ich elf Jahre - in Hannover zu einer namhaften Klavierlehrerin. Ich war so schnell mit allem fertig, daß ich mit der Linken gespielt habe, was man eigentlich mit der Rechten spielen mußte. Danach kam ich als Zwölfjährige zu einem der besten Lehrer, den es damals gab, den Professor Lutter, einem der letzten Liszt-Schüler, der auch mit Liszt gereist ist. Das war eine sehr strenge Schule. Er hat jede Stunde eine ganz bestimmte Technik abgefordert: Doppelterzen, Oktaven, Doppelgriffe, Etüden von Czerny, Chopin-Etüden, und dann hat er mir aber auch allgemeine Einstellungen mitgegeben, die Arbeitsmoral betreffend oder bezüglich des Durchhaltens vom Geistigen her. Weil ich bei Lutter die Nummer Eins war, wurde ich dort übrigens sehr gehätschelt. Die Jungs habe ich alle mit meiner Kraft und Ausdauer in Grund und Boden gespielt, obwohl ich damals sehr schmal und sehr zart war.

Nemecek: Bis wann waren Sie denn bei Lutter?

Heinrich Lutter

Sott: Bis 1929. Bei der Abschlußfeier habe ich die Pathétique gespielt, und da sind Leute aufs Podium gekommen, erfahrene Musiker, die gesagt haben: "Die spielt ja wie ´ne Alte!" Und dasselbe hat sich später, da war ich schon zwanzig, bei Grotrian-Steinweg wiederholt. Die haben mich sehr gefördert und überall Konzerte veranstaltet. Weil ich noch keinen eigenen Flügel hatte, spielte ich oft in der Hannoverschen Dépendance von Grotrian-Steinweg an deren Flügeln. Da hat mich der Verkäufer gehört, und er meinte, ich müßte das mal Grotrian-Steinwegs offerieren. Ich habe denen dann vorgespielt, und sie haben mit mir ein phantastisches Hauskonzert veranstaltet. Nachdem ich die erste Brahms-Sonate gespielt hatte, kam der Generalmusikdirektor Czerny auf mich zu und sagte: "Sagen Sie mal, wo haben Sie das her, Sie spielen ja wie ´ne Alte!" Das ist mir immer wieder gesagt worden.

Nemecek: Können Sie uns noch etwas zu Heinrich Lutter erzählen? Lutter zählte ja zu den letzten Schülern Liszts, gehörte aber doch wohl nicht zu den überragenden Spitzentalenten wie Sauer, d`Albert oder Stavenhagen.

Sott: Nein, sicher nicht. Der Lachmund hat ihn in seinem Buch "Mein Leben mit Liszt" als einen sehr ordentlichen Spieler bezeichnet, und das war er wohl auch - nicht mehr und nicht weniger. Er war ja Königlich Preußischer Hofpianist in Meinigen und siedelte später nach Hannover über. Ich danke ihm vor allem eine sehr seriöse Auffassung von unserem Beruf, also auch: zack, zack - Disziplin (!) und natürlich auch Technik.

Nemecek: Das passt alles nicht so ganz zu dem Bild, das man sich von einem Liszt-Schüler macht.

Sott: Ach was, er war eigentlich der Gegentyp zu Liszt. Sehr solide, etwas hausbacken. Liszt hat sich doch um die handwerklichen Sachen gar nicht gekümmert, das war Voraussetzung. Wer bei Liszt angenommen werden wollte, musste die Fuge aus der Hammerklaviersonate und die Schumann-Toccata schon auswendig können. Sonst brauchte man gar nicht anzutreten. Der unterrichtete ganz anders, weniger systematisch, dafür mehr aus der Phantasie. "Ihre schmutzige Wäsche müssen Sie zuhause waschen", soll er doch immer gesagt haben. So steht es jedenfalls bei Lachmund. Das sollten Sie unbedingt lesen!

Nemecek: Das will ich gerne tun. Hatte Lutter eine bestimmte Lehrmethode?

Sott: Na ja, er hat vor allem die Grundlagen des Handwerks gelehrt. Wir haben Czerny-Etüden am laufenden Band gespielt, dann kamen die Chopin-Etüden und dann die Liszt-Etüden. Um etwas zu verdeutlichen, hat er manchmal auch sehr prägnante Bilder gebraucht. Als ich mal die B-Dur-Variationen von Schubert allzu schwärmerisch vortrug, sagte er, dies sei ein klassisches Stück, und so wie ich es spiele, sei es genauso, als würde man die griechischen Skulpturen schminken. Ist das nicht toll? Diese bildhafte Art hatte er von Liszt, und ich habe das als Kind sofort verstanden. Aber im Grunde genommen ging er von ganz klassischen Richtlinien aus und wies uns immer an, grosse Bögen zu spielen und keine Sitzbäder zu veranstalten, die die Linien zerstörten.

Nemecek: Während Ihrer Lehrzeit bei Lutter machten Sie bestimmt auch schon Ihre ersten Konzerterfahrungen.

Sott: Ja, natürlich. Meine ersten Auftritte fanden im Rahmen der berühmten Lutter-Konzerte im Hannoverschen Ständehaus statt, wo ich 1927 Schumanns Kreisleriana und einige Liszt-Etüden aufgeführt habe. Dort traten die berühmtesten Musiker der Zeit auf. An Wettbewerben habe ich auch teilgenommen. Da fand zum Beispiel in den Dreißigern in Berlin ein Wettbewerb unter dem Motto "Vorwärts durch Leistung" statt. Ich kam dahin, und da saßen alle diese Hühner auf der Stange, die zusammen mit mir ausgesucht worden waren.

Nemecek: Moment, wieso Hühner? Nur Frauen?

Sott: Naja, auch Hähne. Hühner und Hähne. Ich kam mit dem folgenden Repertoire dort an: 24 Präludien von Chopin, 1. Sonate von Brahms, Beethovens Es-Dur-Konzert und Mozarts Krönungskonzert. In der Jury saßen Kempff , Winfried Wolf und alle diese Leute. Dann hörte ich, wie da jemand den zweiten Satz der Appassionata furchtbar stöpperig vortrug. Kommt der raus und sagt, er wär durchgefallen. Er habe auswendig den zweiten Satz der Appassionata einen Halbton höher transponieren müssen. Dann wurde ich bald aufgerufen und spielte das Krönungskonzert - das habe ich dann später noch öfter gespielt - und da sagt der Kempff nach etwa vier Seiten: "Danke." Er fragte mich, was ich denn noch drauf hätte, worauf ich antwortet, ich hätte noch das Es-Dur-Konzert von Beethoven und Brahms` C-Dur-Sonate drauf. Ja, sagt der: "Improvisieren Sie doch bitte erstmal eine Kadenz im Mozart-Stil von D-Dur nach Es-Dur." Ich antwortete, so etwas hätte ich nie gemacht! Darauf meinte Kempff: "Ein Mensch, der so musikalisch ist, der muss das können. Bitte jeden morgen eine halbe Stunde vorm Frühstück." Also habe ich mich hingesetzt und bin durch lauter Sekundakkorde von D-Dur zum Es-Dur -Sextakkord gekommen, und wie ich den erreicht hatte, habe ich nur noch eine chromatische Tonleiter gespielt und sagte: "Mehr kann ich nicht." Da kommt der Dr. Weimar raus und sagt zu mir: "Frau Sott, wir werden Sie für ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern engagieren." Übrigens soll Kempff gesagt haben, er hätte lange nicht mehr so einen schönen Mozart gehört. Also das ist die Wahrheit, und wenn er noch leben würde, dann würde er mir´s bestätigen.

Nemecek: Spannend. Und wie ging die Geschichte weiter? Hat man die Zusage auch eingehalten?

Edwin Fischer, 1884-1960

Sott: Ja, ich durfte Bachs d-Moll-Konzert mit dem Edwin-Fischer-Kammerorchester aufführen. Das bestand ja aus Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Fischer und das Kammerorchester hatten das Konzert eine ganze Saison hindurch gespielt, und Fischer war doch so ein fantastischer Interpret. Ich hatte Fischer in Willmersdorff vorgespielt - ein unvergessliches Erlebnis. Er hat mich alles mögliche abgefragt, und dann sagte er: "Spielen Sie Liszt, spielen Sie Liszt!" Mein Lehrer war ja Liszt-Schüler, aber wir wurden ganz klassisch erzogen. Da hab ich säuerlich geguckt, und auf einmal sagt der: "Mal etwas Esprit, Leichtigkeit!"

Nemecek: Da hat Fischer von Ihnen aber etwas verlangt, was auch nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte.

Sott: Stimmt. Esprit! Leichtigkeit! Dann setzte der sich hin und hat mich am zweiten Klavier im zweiten Satz des Es-Dur-Konzerts von Beethoven begleitet. Also das war himmlisch! Dabei hat er mir erzählt, wie man diese Einleitungsakkorde so wie Tropfen spielt - ta ti ta ti ta ta! Daraufhin kriegte ich die Bestätigung, daß ich ein außergewöhnliches Talent sei und man mich fördern solle. Er hätte mich sofort genommen, aber dann hätte ich nach Berlin gemusst, und mein Vater war außerstande, das zu bezahlen. Dann hat er mir vorgeschlagen, zu seinem Schüler Conrad Hansen zu gehen. Der war 24, ich 20 - das war nichts. Ja, da waren noch komische Geschichten dabei: der wollte mich doch glatt verführen. Jedenfalls mußte ich da weg.

Nemecek: Der Hansen war also nichts für Sie. Was hatten Sie denn an ihm auszusetzen?

Sott: Naja. Wissen Sie, der hat mir das, was ich in dem Moment brauchte, nämlich Handwerk, nicht geben können. Ein großartiger Künstler, aber er hat mit so allgemein menschlichen Vorstellungen unterrichtet, die mir eigentlich wenig brachten. Er hatte so einen kosmopolitischen Einschlag, konnte mich aber nicht führen. Natürlich hat er mir durch seine Äußerungen auch etwas mitgegeben. Wie mein Vater starb, schrieb er ganz reizend: "Nehmen Sie Ihre Kunst und gehen Sie in die Welt." Das war 1932.

Nemecek: Da war Hansen - wenn ich mich nicht irre - als Pianist ja schon berühmt.

Sott: Ja, natürlich. Das war das Geschäft Fischers. Der hat ihn in einer Oberhausener Kneipe kennengelernt, und er ist ihm aufgefallen, weil er so unglaublich begabt spielte. (Anmerkung: Hier hat das Gedächtnis der Pianistin einen Streich gespielt. Conrad Hansen wurde nicht von Edwin Fischer, sondern von Fritz Volbach, Generalmusikdirektor in Münster, entdeckt.) Und wenn Fischer an vier Klavieren das Bach-Konzert mit Furtwängler und Kempff aufgeführt hat, dann war der Hansen immer dabei. Er hat sich später aber von der Fischer-Schule gelöst und ihr die Cortot-Schule vorgezogen.

Nemecek: Wer hat Sie in den Dreißigern eigentlich vertreten?

Sott: Ich hatte die beste Agentur, die Agentur Adler. Adler hatte mich in einem Berliner Konzert gehört und wollte mich daraufhin vertreten. Da bin ich mit den ersten Musikern der Welt in einem Katalog erschienen. Aber wollen Sie nicht noch eine verrückte Geschichte hören?

Nemecek: Ja, bitte.

Sott: Da komm ich zu einem Soloabend mit den 24 Präludien von Chopin, der D-Dur-Toccata von Bach vorneweg und der ersten Brahms-Sonate, jedenfalls ein Riesenprogramm. Vorher nahm ich noch ein Fischgericht zu mir. Nach zweieinhalb Stunden hatte ich einen Brechdurchfall, sowas haben Sie noch nicht erlebt. Meine Mutter holte einen Arzt, der eine Fischvergiftung diagnostizierte und mir dringend von einem Auftritt abriet. Das war aber völlig unmöglich, da ich Geld brauchte. Also ließ ich mir Opium geben. So einen Zustand habe ich nie wieder erlebt, und seitdem kann ich die Rauschgiftsüchtigen verstehen. Nach einer Stunde waren alle Beschwerden wie weggeblasen, ich fühlte mich ganz leicht, stand auf und ging zum Konzert. Dort ist mir alles gelungen: ich hab die wahnsinnigsten Sprünge ohne Probleme geschafft, mein Kopf war so klar, und überall saßen Engel, die mich beschützten. So habe ich einen meiner besten Abende geliefert - im Opiumrausch. Aber was man nicht alles bestehen mußte! Die Geistesgegenwart ist weit wichtiger für einen Pianisten als das, was er wirklich kann. Das muß ich schon sagen.

Nemecek: Das scheint mir auch so. Wen haben Sie in den 30-er und 40-er Jahren von den noch lebenden und konzertierenden Pianisten gehört, und wer hat Sie besonders beeindruckt?

Sott: Ich habe beispielsweise Conrad Ansorge und Frederic Lamond gehört. Das waren ja absolute Beethoven-Spieler. Dann habe ich in den Dreißigern vor allem Cortot gehört und auch den alten d´Albert. Das war was! Der Mann hatte drei Schlaganfälle hinter sich und spielte so schlecht, dass ich selbst als Halbwüchsige einen ganzen Abend von den falschen und nicht gespielten Noten hätte bestreiten können. Aber bei den Zugaben kriegte er doch was hin. Er spielte die Schottischen Tänze von Beethoven, und da habe ich ganz Wien tanzen gehört. Sowas erlebt man heute, im Zeitalter der Technik, kaum noch.

Nemecek: Glauben Sie? Was ist es denn, Ihrer Meinung nach, was die heutige Pianisten-Generation von den früheren Generationen unterscheidet?

Sott: Erst einmal diese Ausrichtung auf Technik, auf Handwerk. Die Leute waren früher nicht so eingeengt durch das technische Müssen. Heute können die jungen Leute können jederzeit alles spielen, haben aber keinen eigenen Ton - ist doch furchtbar!

Nemecek: Angesichts des gewaltigen Konkurrenzdrucks ist das "technische Müssen", wie Sie es nennen, aber auch kaum verwunderlich. Dazu kommt, daß man sich ständig an perfekten Studio-Einspielungen messen muß.

Sott: Genauso ist es. Richter hat ja einmal gemeint, das Schlimmste sei, wenn er bei seinen Live-Konzerten gewissermaßen gegen seine eigenen Einspielungen anspielen müsse. Edwin Fischer, ein absoluter Bauch-Spieler, habe ich natürlich auch gehört. Ach, das habe ich auch auf keiner Platte gehört! Das hören Sie nicht mehr. Und das ist bestimmt keine Einbildung von mir. Fischer hatte mal einen Klavierabend in Hannover, einen reinen Beethoven-Abend, den er mit der c-moll-Sonate op. 10, Nr. 3 einleitete. Schon am Anfang war jeder zweite Ton daneben. Der hatte ja immer so ein schreckliches Lampenfieber. Aber dann kam zum Schluß die op. 111, und da hat - ich übertreibe nicht - das Publikum nach dem letzten Satz einige Minuten lang geschwiegen. Solche Ergriffenheit hat der vermittelt. Dieses Losgelöst-Sein des Mannes! Er hat immer gesagt "Nicht ich spiele, sondern Es spielt". Ich kann das nur so definieren, daß sich da eine ungeheure Loslösung von Ängsten ereignet. Die Leute waren auch so emotionalisiert von der Kraft der Musik. Das kann doch heute auch gar nicht so sein. Sie haben Knöpfe links und rechts, drücken nachts um eins, morgens um vier, fünf, sechs Uhr, es kommt aus jedem Sender Musik.

Nemecek: Weil der Gedanke der Reproduzierbarkeit von Musik noch nicht so allgegenwärtig war, hatte man wohl noch das Gefühl für die Einmaligkeit des Augenblicks.

Sott: Ja, und das ist vorbei. Ich habe mit zwanzig Jahren das Es-Dur Konzert von Beethoven in Detmold gespielt. Da schrieb ein Kritiker: "Um das zu hören, müssen die Leute heute weite Reisen machen." Stellen Sie sich das mal vor! Dabei ist das Live-Konzert auch musikalisch viel besser. Ich will Ihnen noch eine Geschichte erzählen. Zum Ende des Krieges wurden wir noch einmal verpflichtet irgendwo zu spielen, und ich hatte in Friedberg zu spielen, unter anderem Beethovens Op. 111. Kurz vor dem Konzert kommt Fliegeralarm, und da sagte der Konzertveranstalter: ´Eh nicht die große Tute geht, spielen Sie, dann sind sie noch nicht hier´. Und unter diesem Aspekt habe ich die Op. 111 gespielt. Ich glaub, die hatte ich noch nie so gespielt! Nach dem Konzert kam eine alte Frau auf das Podium und sagte, sie hätte diese Sonate von den größten Pianisten der Welt gehört, aber ich käme dem Werk am nächsten. Das war auch die Gnade des Augenblicks, weil sie dachten, sie sind vielleicht in der nächsten Minute nicht mehr da. Wissen Sie, der Hansen hat mir mal ein wunderbares Wort gesagt: "Man muslplattenaufnahme von, so daß ich nicht einmal hören konnte, wie das Orchester ging. Da habe ich mir einen Korrepetitor geholt und mit ihm das Konzert eingeübt. Es ist ja ein verdammt schweres Stück. Wissen Sie, ich konnte nicht gut Aufnahmen machen mit endlosen Wiederholungen. Ich werde dann so bewußt, und dieses Bewußtsein hindert mich daran, frei zu werden, drauf los zu spielen. Fischer hat mal die Wanderer-Fantasie eingespielt und die Aufnahme fünfundzwanzigmal abgebrochen - aus Angst vor diesem Trichter. Ich habe ja selbst Angst davor.

Nemecek: Das Konzertpublikum vergisst den Missgriff schnell, der Apparat nie.

Sott: So ist es. Ich habe in meiner Jugend oft den Cortot gehört - in seinen guten Jahren wohlgemerkt. Da habe ich anbetend gesessen. Er hat ja immer sehr viele Fehler gemacht, war unsicher im Gedächtnis. Und dann habe ich nach dem Krieg ein Konzert besucht, so 1946/47. Da hatte er wieder Auftrittserlaubnis in Deutschland bei diesen Kamelen. Nein, wär ich doch nicht gekommen! Sie hätten die h-Moll-Sonate von Chopin nicht wiedererkannt - es war alles improvisiert. Aber dann setzte er sich hin und spielte Chopin-Walzer. Das war sowas Wunderbares - das kann man nicht mehr nachmachen! Er machte ja überhaupt keine Bewegungen, saß da wie eine Statue, war ganz blaß mit diesen weißen Händen, die er - glaube ich - gepudert hatte, und spielte ohne jede Anstrengung. Ich habe mir seine Hände jahrelang vorgestellt - diese Entspannung, die sie ausstrahlten. Aber diese Walzer mit dem Cortot - ich habe immer versucht, das nachzumachen, aber es ging nicht, und es geht nicht. Die Schallplatte hat natürlich auch ihre Verdienste. Aber die Gnade des Augenblicks ist nicht zu ersetzen. Und daran gehen wir auch kulturell zugrunde.

Alfred Hoehn, 1887 -

Nemecek: Ihr nach Lutter wichtigster Lehrer war Alfred Hoehn, seinerzeit Klavierprofessor in Weimar und Frankfurt. Damals ein berühmter Mann, heute aber völlig vergessen. Frage: Wer war Alfred Hoehn, und was haben Sie ihm zu verdanken?

Sott: Hoehn war ein erstklassiger Künstler. Der hatte ja alles drauf - auswendig natürlich. Er kam 1933 mit Brahms´ d-Moll-Konzert unter Furtwängler nach Hannover. Wir waren das Konzert bis dahin in der etwas lockeren Art von Fischer und der Ney, die ja überhaupt keine Technik hatte, gewöhnt. Und nun kam Hoehn mit dieser distanzierten Art, und das war natürlich ein Schock. Der konnte ja alles, ohne geübt zu haben. Aber er hat natürlich wahnsinnig geübt. Wenn er vom Konzert kam, hat er nachts noch geübt. Und dann bekam er den schweren Schlaganfall. Im Verlauf des zweiten Satzes des ersten Brahms-Konzerts ist es passiert. Hinterher hat er mir erzählt, die Tastatur sei immer höher gegangen. Danach war er rechtsseitig gelähmt und mußte auf seine große Laufbahn verzichten. Der Mann hatte doch sämtliche internationalen Wettbewerbe gewonnen. Den Rubinstein-Wettbewerb zum Beispiel. Und wenn Artur Rubinstein schon sagt, wie wunderbar er Klavier gespielt hat, dann will das doch wohl schon was heißen.

Nemecek: Aus welcher Schule kam Hoehn eigentlich?

Sott: Der wurde bei Ucielli in Köln ausgebildet. Ucielli war einer der letzten Schüler von Clara Schumann. Aber seine ganze Anschlagskunst die hatte Hoehn aus Russland, wo er immer zum Konzertieren war. Es war eine harte Schule bei ihm. Er hat mir die verschiedenen Anschlagsarten beigebracht, die mir absolut gefehlt haben. Das gibt es auch als Buch, es heisst "Methodik des virtuosen Klavierspiels" und wurde von dem Hoehn-Schüler Georg Roth verfasst. Ich habe das inzwischen weiterentwickelt und verfüge über 24 Anschlagsarten. Ich war ausserdem die einzige aus seinem riesigen Schülerkreis, die für wert befunden wurde, mit ihm an zwei Klavieren zu spielen. Er war ja fest davon überzeugt, daß ich in vier Jahren Elly Ney verdrängen würde. Dann hat er mich als seine Assistentin angestellt - mit einem Monatslohn von 88 Mark, was für damalige Verhältnisse schon eine große Summe war. Aber Hoehn hatte auch das wahnsinnige Pech, vor der Hitlerzeit noch nicht den Durchbruch geschafft zu haben. In der kurzen Zeit der 12 Hitlerjahre hatte er dann einen Riesenerfolg. Leider starb er schon kurz nach der Wende.

Nemecek: Wenn einer im Dritten Reich so erfolgreich ist, dann vermutet man gleich enge Verbindungen zum Nazi-Regime. War das der Fall?

Sott: Nein. Der Mann kam endlich zum Spielen, und soll er denn nicht für die spielen, weil das Nazis sind? Das haben doch alle gemacht: der Furtwängler, der Cortot und wie sie alle hießen. Cortot kam und wurde nachher im eigenen Land des Fraternismus bezichtigt. Nach dem Krieg wollte man ihn auch bei uns nicht mehr haben. Dabei hat er einfach nur gespielt und uns erfreut! Da verteidige ich aber meine Kollegen!

Nemecek: Wie machte sich nach 33 der Regimewechsel im Musikbetrieb bemerkbar?

Sott: Missliebige Musiker und Komponisten, vor allem solche jüdischer Abstammung, wurden verboten. Die wurden einfach nicht mehr verpflichtet, und viele gingen auch ins Ausland. Ich habe damals so manches Machwerk parteitreuer Epigonen spielen müssen. Das hat man doch gemacht, damit man zum Spielen kam. Ein Künstler, der leidenschaftlich mit seiner Musik verbunden ist, fragt doch nicht danach, wer da an der Regierung sitzt. Der fragt danach, wer ihn zum Spielen holt. Diese Politisierung von Künstlern ist Quatsch - aus meiner Sicht. Ein Künstler will spielen. Da gab es natürlich auch viele Künstler, die es nicht geschafft hatten, rechtzeitig wegzukommen, nicht? Die Armen, die es getroffen hat - das ist natürlich schrecklich!

Nemecek: Ich habe aus dem Beiheft zu Ihrer CD erfahren, daß ein Auftritt unter Furwängler geplant gewesen sein soll, der aber nicht zustande kam. Warum nicht?

Sott: Ich hatte ja auch Beziehungen durch meine Agentur, und da hatte Adler mal angefragt, ob nicht ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern möglich wär. Ich wurde dann zu ihm zum Vorspielen bestellt. Ich hatte natürlich wahnsinnige Angst, aber es ist ja dann gar nicht mehr dazu gekommen. Übrigens habe ich seinen Briefkopf. Also, Sie können sich darauf verlassen, dass es wirklich vereinbart war. Naja. Es ist Schicksal, dass es dann doch anders gekommen ist. Er wurde doch krank, kriegte so eine latente TBC. Und dann hat er sich nach Afrika zurückgezogen. Mitte der vierziger Jahre kam dann dieses ganze Desaster mit seinen jüdischen Orchestermusikern, die er ja alle entlassen musste. Daruter waren ja auch viele jüdische Freunde, und er kam eigentlich nicht mehr so richtig zum Zug. Und da war meine Zeit auch schon wieder vorbei.

Nemecek: Interessanterweise ist von allen bis jetzt genannten Musikern keiner emigriert.

Sott: Die waren halt auch ein bisschen mit der Partei verbunden.

Nemecek: Glaub ich Ihnen gern.

Sott: Gieseking nicht. Das weiß ich.

Nemecek: Dabei hat man gerade ihm nach dem Krieg ganz schön zugesetzt. Wie war das denn mit Elly Ney, die haben Sie doch sicher auch gekannt?

Sott: Die war ´ne schwere Parteigängerin und viele andere natürlich auch - das ist doch ganz klar. Aber ich war´s nicht. Sie können nachforschen. Und daß sie mich nach dem Krieg mit Auftrittsverbot belegt haben, verzeih ich niemandem. Drei Jahre lang durfte ich nicht auftreten, und dabei habe ich Kommunisten, Juden und Halbjuden unter Lebensgefahr unterrichtet!

Nemecek: Was bekam man eigentlich als durchaus erfolgreiche, aber nicht zur pianistischen Prominenz gehörende Pianistin für einen Klavierabend?

Sott: Die Honorare wurden von der Reichsmusikkammer festgelegt. Gieseking bekam als arrivierter, international anerkannter Künstler für einen Abend 1200 Mark und die besten der Nachwuchskünstler 800 Mark, und da war ich drunter. Das wurde durch die Berliner Kritiken registriert - wir mussten ja, zumal ich nicht in der Partei war, Beweise abliefern.

Nemecek: Sie haben vorhin Gieseking erwähnt .......

Sott: Der musste nur auf die Welt kommen, um Debussy und Ravel zu spielen. Das war ein Magier. Debussy und Ravel wurden nie besser gespielt und werden nie besser gespielt werden können. Auch nicht vom Michelangeli. Debussys Poissons d´or habe ich nie wieder so gehört. Sie sahen die Fische springen! Ich habe auch seine Schallplatteneinspielung davon gehört - was ein kümmerlicher Abklatsch! Er hatte ja auch die Fähigkeit, brandneu geschriebene Noten während einer Zugfahrt zu lernen und sie noch am selben Abend im Konzert auswendig zu spielen.

Nemecek: Ja, er war berühmt für sein phänomenales Gedächtnis. Welchen Eindruck hatten Sie denn von Backhaus, um einmal auf diese schillernde Gestalt zu kommen?

Sott: Ahh! Ein wunderbarer, ein großer Könner! Aber - das ist jetzt vielleicht eine persönliche Meinung - er war so unterkühlt. Vor seinem Können ist man einfach in die Knie gegangen, aber das Herz hat nicht schneller geschlagen. Er nahm ja jede Hürde, ein absolut zuverlässiger Spieler im klassischen Sinn. Ein pianistisches Vorbild auch. Aber mein pianistisches Vorbild war in ganz früher Jugend Gieseking, und da ich bei meinem Lehrer nie diese Klangsachen gelernt habe, diese rein atmosphärischen Sachen, habe ich die Finger von gelassen. Erst mit fünfunddreißig habe ich angefangen, die Impressionisten zu spielen. Da konnte ich sie auch - kraft meiner Anschlagsfinessen. Aber das war mir bis dahin sehr verschlossen.

Nemecek: Debussy und Ravel standen sicher nicht auf dem Unterrichtsplan deutscher Klavierlehrer.

Sott: Eben. Es war einmal die deutsche Schulung, und dann, weil der Gieseking darin so überdurchschnittlich gut war, habe ich die Impressionisten besser nicht gespielt. Das konnte ich nicht - ich stand hilflos vor dieser Verzauberung. Dann kam ich zu Hoehn, der mir seine Anschlagsarten beibrachte. Dadurch ergab sich allein von der Physis her eine unglaubliche Vielfalt der Möglichkeiten.

Nemecek: Weil Sie schon so begeistert von Fischer erzählt haben, habe ich gedacht, er sei weit eher Ihr Vorbild gewesen als Gieseking.

Sott: Also Fischer hatte so etwas genial Urwüchsiges, er war ja so wie der Fels von Gibraltar, und er war vor allem ein kolossal geistiger Musiker. Ich will Ihnen etwas erzählen, was Fischer wohl charakterisiert. Er hat gemeinsam mit Mainardi und Kulenkampff Brahms´ H-Dur-Trio gespielt. Und da kommen sie im ersten Satz zu diesem wunderbaren Thema (singt es vor). Fischer spielte das aus. Mainardi fand es zu langsam. Sie probierten und probierten, und es wurde mühsam auf das schnelle Tempo hin gespielt. Das Konzert fand statt, wobei Fischer wieder langsam spielte, und es ging wunderbar. Es war eben das richtige Tempo. Das sind die Gnadenminuten, die man mit dem Intellekt nicht herbei reden kann. In ihm war eine so große geistige Kraft, daß er durch die Kraft seiner Vorstellung seine schlechte Technik überwunden hat. Fischer war eine ungeheure musikalische Erscheinung, das, was man so einen Urmusiker nennt. In dem Maße war es noch nicht mal Kempff.

Nemecek: Finden Sie? Kempff war doch ein hervorragender Musiker.

Sott: Ja. Aber der hatte nicht diese Macht und diese Komplexität. Das haben heute in der ganzen Welt nur noch die Russen. Die haben noch dieses Urempfinden, dieses Existenzielle, wo es die gar nicht stört, ob ein falscher Ton kommt oder nicht. Da muss die Vorstellung verwirklicht werden. Die russische Seele hat natürlich auch ihre Haken, weil sie völlig überbordend ist bei architektonischen Sachen, viel zu viel Pedal. Außer Richter, der konnte das. Ich habe ihn in jüngerer Zeit beim Rheingau-Festival noch mal gehört, allerdings vierhändig mit der Elisabetha Leonskaja. Und wissen Sie, die Leonskaja ist ja nicht schlecht, aber wenn der Richter eine Melodie spielte - das waren Welten! Wer´s nicht hat, der wird´s nicht. Gilels konnte es allerdings auch. Ich weiß noch, was der für eine wunderbare Beethoven-Sonate eingespielt hat. Dieser satte leuchtende Ton, dann die Differenziertheit im Dynamischen und dann der Schwung, das war ganz großartig!

Nemecek: Mir kommt es manchmal so vor, als hätte Ihr Spiel auch diese Qualitäten. Woher kommt das eigentlich?

Sott: Man hat mir in Berlin immer bescheinigt, daß ich eine überdurchschnittliche Stilsicherheit hätte. Aber ich wurde ja gezwungen, diese Modernen zu spielen, und die gelangen mir auch. Aber wenn ich Polen und Russen mal Werke ihrer Landsmänner vorgespielt habe, haben die immer gemeint, es sei doch ganz unmöglich, daß eine Deutsche so slawisch spielen könne. Als Pianist, der sich mit dem Geist der Musik auseinandersetzt, fühlt man sich natürlich zu Bach, Beethoven und Brahms hingezogen, das ist gar keine Frage. Wenn Sie klanglich differenzierte und berauschende Musik spielen wollen, dann gehen sie allerdings zu diesen Komponisten. Aber die waren in meiner Jugend so verfemt - die Musik Rachmaninows zum Beispiel galt als Kaffeehausmusik, man nannte ihn Krachmaninoff, und Fischer hat ausgespuckt vor ihm!

Nemecek: Nach dem Krieg war es für eine junge deutsche Pianistin doch sicher nicht ganz einfach, die angefangene Karriere so ohne weiteres fortzusetzen. Wie ist es Ihnen denn da ergangen?

Sott: Ich bekam wegen der Parteizugehörigkeit meines 1932 (!) verstorbenen Vaters zunächst drei Jahre Auftrittsverbot und habe infolgedessen drei Jahre während meiner besten Zeit nicht auftreten können. Nach dieser schlimmen Zeit war ich 38, habe Bewerbungen geschrieben, Klavierabende gegeben und natürlich auch viel unterrichtet. Wir haben damals in ausgebombten Sälen angefangen - etwa im Ärztehaus an der Hamburger Allee. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie etwas von der damals herrschenden Atmosphäre mitbekommen. Das erzählt Ihnen ja keiner mehr. Meine Generation ist ja nun bald ausgestorben, nicht? Die ist eigentlich gar nicht mehr da! Da bin ich ja der letzte der Mohikaner (lacht). Mit 48 Jahren, also 1959, mußte ich dann mit dem Konzertieren aufhören, weil ich Herzrhythmusstörungen bekam. Das konnte ich weder mir, noch dem Publikum zumuten. Dabei war ich da noch voll in Form. Deshalb habe ich mich in der Folgezeit auf Funkauftritte beschränkt, denn da konnte man ja wiederholen.

Nemecek: Bei welchen Rundfunkanstalten haben Sie Aufnahmen gemacht?

Sott: Beim Hessischen Rundfunk, Süddeutschen Rundfunk, Bayrischen Rundfunk und in den Dreißigern auch beim Hamburger Rundfunk. Wir haben vor kurzem beim Süddeutschen Rundfunk eine Aufnahme vom dritten Chopin-Scherzo von 1950 ausgegraben. Ich hoffe, sie bald vom Rundfunkarchiv zu bekommen. Ich habe in neun Jahren zehn Klavierkonzerte für den Hessischen Rundfunk eingespielt, darunter Liszts Spanische Rhapsodie für Klavier und Orchester und das Klavierkonzert von Skrjabin. Das war sehr gut. Dann kam da noch viel Kammermusik hinzu. Da bin ich zehn Jahre lang nicht aus dem Rundfunk raus gekommen. Die haben mich immer wieder verpflichtet.

Nemecek: Da Ihre CD vollständig von Musik des 20. Jahrhunderts dominiert wird, bekommt man den Eindruck, daß dies Ihre Domäne war. Oder trügt dieser Eindruck?

Sott: Er trügt. Ich bin eigentlich eine romantische Spielerin. Aber nach dem Kriege kamen Sie doch nicht zum Spielen! Die ganze romantische Literatur war von den großen Namen besetzt. Dazu bin ich im Rundfunk nie verpflichtet worden. Ich hab´s aber privat gemacht. Da habe ich Kassetten von. Ich habe ja zum Beispiel den ganzen Schumann studiert, und ich war immer eine Chopin-Spielerin. Man hat mir immer attestiert, daß ich jeden Stil beherrsche. Dieser moderne Stil - das war ja wirklich ein Überlebenskampf. Weil ich mit was anderem gar nicht drankam. Mein Repertoire reicht doch von Rameau bis Zimmermann. In den Rundfunkanstalten hatten die dafür aber gar kein Interesse. Die Auskunft war immer: "Das haben wir fünfmal von dem, von dem, von dem, das können wir nicht gebrauchen." Dann bin ich jede Woche zu Piano-Fuchs gegangen und habe solche Stöße von modernen, noch nicht eingespielten Stücken ausgesucht. Dann habe ich Programme aufgelistet, und die Programmacher haben sich daraus was ausgesucht. Nach 1968 haben die mir dann noch wahnsinnig viele Angebote gemacht, aber da hatte ich keine Lust mehr. Da ging es mir so wie jetzt der Steffi Graf, die kann ja auch nicht mehr.

Nemecek: Wer hatte denn da die Posten besetzt?

Sott: Die etablierten Pianisten: Hansen, Fischer und natürlich Backhaus. Gott, der hätte sich doch nie dazu herabgelassen, diese moderne Musik zu spielen. Nie im Leben! Der hatte ja mit den anderen Sachen viel größeren Erfolg beim Publikum. Ich habe dann, um spielen zu können, diese modernen Sachen eingespielt, derer sich keiner erbarmt hatte. Ich bin ja bald verrückt geworden, das den ganzen Tag zu üben.

Nemecek: Diese "modernen Sachen" liegen Ihnen aber erstaunlich gut.

Sott: Es ist mir von allen Komponisten immer wieder bestätigt worden, daß ich ein sehr gutes Stilempfinden hatte.

Nemecek: Sie haben meines Wissens auch direkt mit den Komponisten zusammengearbeitet. Einer von ihnen war der deutsche Komponist Gerhard Frommel, von dem sich auch einige Kompositionen auf Ihrer 1997 erschienenen CD finden. Da dieser Komponist heute so gut wie vergessen ist, wäre es sehr interessant, von Ihnen zu erfahren, wer er war und welche Stellung er im damaligen Musikleben hatte?

Sott: Der Mann war ein Genie! Unberechenbar und ein völliger Chaot. Ich habe diese mordsschwierigen Caprichos op. 14 aus dem Jahre 1939 mit ihm erarbeitet. Aber in den Noten steht ja beileibe nicht das, was der Frommel haben wollte, und er war furchtbar ungeduldig, wenn es nicht sofort so kam, wie er es sich vorgestellt hatte. Ich habe dafür ganz schön geackert. Das in der Mitte ist irrsinnig schwer. Eines davon ist reiner Schumann.

Nemecek: Kann es sein, dass diese Caprichos, deren Titel Frommel ja dem berühmten Bilderzyklus von Goya entlehnt hat, eine Zeitkritik enthalten?

Sott: Natürlich. Das ist vielleicht die einzige Rechtfertigung dafür, daß man diese Sachen heute wieder hervorholt. Das war doch der einzige deutsche Komponist, der noch ein wenig Format hatte. Der Hindemith war ja verfemt und Hessenberg war zu bieder.

Nemecek: Frommels Musik hat durchaus fortschrittliche Elemente. Andererseits war sie vermutlich nicht fortschrittlich genug, um schon unter das Verdikt "Entartete Musik" zu fallen.

Sott: Ach was! Er war doch ein typischer Romantiker und fanatischer Pfitzner-Anhänger. Hören Sie sich doch mal die 1. Symphonie an, die übrigens Furtwängler uraufgeführt hat. Es wurde immer gesagt, man höre alte Bekannte. Da war alles drin. Er hat ja vor allem für E. T. A. Hoffmann und Schumann geschwärmt.

Nemecek: Nun war Frommel allerdings - und im Unterschied zu seinem Lehrer Pfitzner - auch ein Verfechter des Neoklassizismus und ein Bewunderer Strawinskys.

Sott: Ja, Strawinsky. Frommel hat die Partitur des Sacre du Printemps als Soldat in den Krieg mitgenommen und sie dort studiert. Der kannte daraus jede Note. Er kannte auch jede Note von seinem verhassten Schönberg. Also ein Ignorant war das nicht. Er hat übrigens wunderschöne Lieder auf Texte von Stefan George geschrieben, die damals alle aufgeführt worden sind, als ich damals in Heidelberg gespielt habe. Ich hatte das schwerste Stück. Die zwei Sonaten, die er geschrieben hat, habe ich ja auch in Berlin uraufgeführt. Mir blieb doch gar nichts anderes übrig. Wir hatten doch Kulturverbot, das andere war ja "Entartete Musik".

Nemecek: Wieso hat es eigentlich keine Schallplatteneinspielungen von Ihnen gegeben?

Sott: Das ist an mir irgendwie vorbeigegangen. Das Komische ist, daß ich immer in den höchsten Rängen rangierte, daß aber keiner davon benachrichtigt worden ist (lacht). Dr. Werner Bockelmann hat mir zum Lebensabend diese CD mit einigen von meinen alten Aufnahmen geschenkt. Das ist für mich die reine Freude, ein würdiger Abschluss meines Lebens, und das find ich wunderbar. Meine Schüler hüten die Kassetten mit meinem Einspielungen wie Juwelen.

Nemecek: Sie unterrichten noch?

Sott: Ja, ich habe Schüler im Alter von 17 bis 70. Ich unterrichte doch seit über sechzig Jahren. 1938 wurde ich von der Hochschule übernommen und 1945 gleich wieder vom Dienst suspendiert, weil da ja die Persilscheine waren. Und dann musste die Musikhochschule ja auch erst einmal wiederaufgebaut werden. Die hatte einen Volltreffer abbekommen, und die ganzen Klaviaturen und Partituren lagen kreuz und quer über den Schuttbergen. Wenn Sie das als Musiker sehen, blutet Ihnen das Herz. 1948 bekam ich wieder einen Lehrauftrag, einige Jahre später wurde ich fest angestellt, und 1971 bekam ich endlich die Professur. Aber das Leben war schon interessant!

Nemecek: Zum Ende dieses Gesprächs müssen Sie uns noch verraten, wen Sie von den lebenden Pianisten am meisten schätzen.

Sott: Von den lebenden ist es Gulda. Der ist als Mozartspieler für mich die absolute Erfüllung: da ist die ganze Klassik ohne Schmankerln und Sentimentalitäten. Es ist die ganze Wärme, der Witz und Humor - alles was Mozart ausmacht ist da drin. Bei Beethoven ist er mir oft zu schnell. Aber einmal habe ich ihn überführt: er spielte im Fernsehen und da seh ich doch, wie es bei einer wunderbaren harmonischen Wendung wie ein Wetterleuchten über ihn ging. Ich habe gedacht: Du alter cooler Hund, Du bist viel emotionaler als Du zugibst.

Nemecek: Wie halten Sie es denn mit Brendel?

Sott: Der ist hervorragend. Er hat absolut die ausreichende Technik, ist aber kein Virtuose. Er ist ein ganz und gar deutscher Spieler, aber Liszt spielt er wunderbar! Ich habe mal die Bénédiction de Dieu dans la solitude mit ihm live gehört und weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Auch sein Schubert ist wunderschön. Das ist ein ganz durchgeistigter Musiker, der zur ersten Garnitur gehört.

Nemecek: Gibt es unter den Jüngeren ein paar, die Sie mögen?

Sott: Pogorelich. Ich habe mir gerade seine Haydn-Sonate angehört, und die ist derartig perfekt, daß es schon wieder peinlich ist. Aber es ist nichts dagegen zu sagen - wirklich toll. Dann gibt es diesen Verrückten, der immer Bodybuilding macht: Tzimon Barto. Ja, der kann das. Aber er ist mir zu amerikanisch. Da studiert der die Kreisleriana ein, nimmt dazu seinen Sohn und reitet mit ihm huckepack. Da fehlt der Respekt vor dem schöpferischen Geist. Die Komponisten stehen ja wohl doch über dem Ausführenden, und man sollte sich doch angesichts dieses schöpferischen Geistes zurücknehmen und versuchen, ihn zu verstehen. Das ist, finde ich die richtige Herangehensweise. Ja, wenn man mal nicht so tief geht, dann kann auch mit der Kultur nicht mehr viel kommen.

Nemecek: Jetzt sind Sie aber vielleicht doch etwas zu pessimistisch.

Sott: Es gibt ewige Werte, Herr Nemecek! Ein Musikkritiker hat mal kritisch zu meiner Interpretation des fis-Moll-Satzes aus Mozarts A-Dur-Konzert folgendes geschrieben: "Daß die Noten nicht nur Tonzeichen sind, sondern Symbole für eine tiefwertige Menschlichkeit, das einzusehen, hat Frau Sott glücklicherweise noch Zeit." Den Satz hab ich nie vergessen, und er stimmt. Das sind doch auch Menschen gewesen, die das geschrieben haben mit ihren Gefühlen. Und wenn heute die Gefühle in Technik umschlagen, dann müssen Sie auch das Allegro barbaro von Bartók spielen, und da ist ja auch was dran. Ich höre mir jede Jazz-Nummer an und auch Pop-Musik. Einseitigkeit ist das Schlimmste, was es gibt. Ich möchte auch nicht wie so ein Vehikel aus dem vorigen Jahrhundert wirken.

Nemecek: Welchen Rat würden Sie jungen Klavierstudenten mit auf den Weg geben?

Sott: Ich würde Ihnen die folgende Frage stellen: Können Sie für eine gewisse Zeit auf alles Schöne und alles, was Ihnen lieb und teuer ist, verzichten, nur um am Klavier sitzen zu dürfen und zu üben? Da gehört eine tiefe innere Leidenschaft und Ausdauer dazu. Wenn Sie die nicht haben, dann sind Sie nicht der oder die Richtige dafür. Wenn aber doch, dann ist es der erfüllendste Beruf der Welt.

Nemecek: Frau Sott, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Das am 25. und 26. August 1999 in der Frankfurter Wohnung der Pianistin geführte Gespräch erschien in der Januar/Februar-Ausgabe 2000 der Zeitschrift PianoNews. Dr. Robert Nemecek ist freier Musikautor und lebt in Köln. Inhaltsverzeichnis


Gisela Sott: Vom Üben

Übeaufsatz als PDF

Sage mir, wie du übst, und ich sage dir, wie du spielst, besser könnte wohl nicht ausgedrückt werden, wie wichtig eine gute Übemethode für jeden Klavierspieler ist; denn nichts verursacht größere Fehler und mehr Zeitverlust als falsches Üben. Seit es Klavierspiel gibt, ist viel über das Üben geschrieben worden. Ich erinnere nur an einige große Pianisten und Pädagogen der letzten 50 Jahre: Edwin Fischer, Alfred Cortot (Grundbegriffe der Klaviertechnik und Anmerkungen zu den Chopin-Etüden), Leimer-Gieseking (Modernes Klavierspiel), Andor Foldes (Wege zum Klavier), Martienssen, der auf der Grundlage des schöpferischen Klangwillens eine pianistische Typenlehre entwickelt. Obgleich die Erfahrungen anderer in den wichtigsten Fragen übereinstimmen, so sollte man auch selbst versuchen, eigene Wege für ein gutes Üben zu finden; denn eine gute Wiedergabe hängt nicht allein von der musikalischen und technischen Begabung des Spielers ab, sondern ebenso von der Intelligenz und Phantasie, wie er die tägliche harte Arbeit bewältigt. Vor jedem Tag sollte stehen: Geduld und Ausdauer, eine gewisse Hartnäckigkeit im Verfolgen eines Zieles!

Das vielseitige Thema läßt sich in vier Abschnitte gliedern:

Von der Zeiteinteilung / Vom Üben der Technik / Vom Üben der Werke / Vom Repertoire-Üben und der Vorbereitung zum Vorspielen.


Von der Zeiteinteilung

Zunächst ist die richtige Auswertung der zur Verfügung stehenden Übezeit von großer Wichtigkeit. Wenn nur kurze Zeit im Tagespensum dem Klavierüben zugemessen werden kann, ist es gut, wenn die Arbeit vorher geplant und jede improvisierte Lösung vermieden wird. Man sollte sich ausgeruht an das Instrument setzen, alles, was die Arbeit stören könnte, ausschalten und sich vorstellen, daß gerade für diese Arbeit unendlich viel Zeit zur Verfügung steht; denn nichts ist schädlicher als die im Hintergrund lauernden den Gedanken an andere wartende Aufgaben des Tages! Um vom ersten Moment des Übens an völlig konzentriert zu sein, lege man am Tage vorher schon einen genauen Übeplan fest. Die Arbeitszeit wird in verschiedene Abschnitte eingeteilt: Technik, Werkstudium, Blattspiel, Wiederholungen studierter Werke, Auswendiglernen.

Man übe mit täglich wechselnden Folgen, d. h. hat man z. B. am Montag mit technischen Übungen begonnen, um Werkstudium, Blattspiel usw. folgen zu lassen, so spiele man am Dienstag vielleicht zuerst einige schwere technische oder musikalische Stellen aus dem gerade zu studierenden Werk und wende sich dann besonderen technischen 0bungen zu oder dem Blattspiel usw. Ich will damit sagen, daß das maschinenhafte Wiederholen täglich gleicher Arbeitsfolgen dem Fortschritt ebenso abträglich ist wie eine planlose, dem Zufall Übeweise. Falls eine innere oder äußere Ablenkung das Üben doch stören sollte, höre man lieber auf und fange zu einer anderen Zeit wieder an; denn gedankenloses Bewegen der Finger ist nur Zeitvergeudung. Mehrere Stunden nacheinander ohne Pause zu Üben, halte ich für genauso zwecklos wie das Arbeiten in allzu kurzen Zeitabständen: das eine ermüdet die Aufnahmefähigkeit, das andere fördert eine gewisse Unruhe und Unfähigkeit zu einer längeren Konzentration. Liszt sagte: Drei Stunden nacheinander eine schwere Stelle ununterbrochen zu Üben, ist nicht so nützlich, wie diese drei Stunden auf den ganzen Tag zu verteilen. Geist und Körper sind nur eine relativ kurze Zeit voll aufnahmefähig; man sollte daher niemals länger als eine bis eineinhalb Stunden nacheinander üben, auch nicht an den Tagen, an denen man verlorene Zeit nachzuholen gedenkt. Ist die Zeit zum Üben sehr beschränkt, arbeite man dann doch lieber täglich eine kurze Spanne; sie ist besser angewandt als ein paar Stunden an einem oder zwei Tagen der Woche. Der Übeplan sollte während der Ausbildung eine längere Zeit des Tagespensums für die technische Arbeit vorsehen; denn ein ungelenker Spielapparat wird jeder klanglichen Verwirklichung geistig-musikalischer Vorstellungen im Wege stehen. Auch "große Geister" haben kräftig Fingerübungen gespielt, ehe sie sich produzierten! So schreibt Strawinsky in seiner "Chronique de ma vie", wie er vor seinen Konzerten, in denen er seine eigenen Werke vortrug, ein paar Wochen lang fleißig Czerny und andere Übungen gespielt habe, und das mit größtem Vergnügen! Ähnlich arbeiteten Liszt, Schumann, Brahms, die in ihrer Jugend mit Ausdauer technische Übungen spielten. Eugenie Schumann, die Tochter Robert und Clara Schumanns, schreibt in ihren Lebenserinnerungen, wie der junge Brahms als Klavierlehrer in ihrem elterlichen Hause oft Skalen, Septakkordfolgen und besonders Doppelgriffe geübt habe. Brahms war wegen seines hervorragenden Doppelgriffspiels berühmt, nicht umsonst finden wir in allen seinen Klavierwerken diese spezifische Handschrift. Nicht zu vergessen Bartok und Strawinsky, die - selber hervorragende Pianisten - sich in ihren Werken mit technischen Problemen auseinandergesetzt (Bartok in seinem Mikrokosmos und Strawinsky in seinem op. 7) und damit die Linie fortgesetzt haben, die im vorigen Jahrhundert, der Blütezeit des Klaviers, mit Chopin, Liszt und Debussy ihren Anfang nahm.


Vom Üben der Technik

Warum übt man Technik und wie übt man sie? - Es ist wohl jedem klar, daß, um selbst ein einfaches Stück gut zu spielen, gewisse Fertigkeiten in der Abwicklung physischer Vorgänge vorhanden sein müssen. Eine gute technische Leistung ist niemals Zufall, sondern das Ergebnis harter und geduldiger Arbeit. Da jede Bewegung, die wir beim Anschlag ausführen, sich klanglich auswirkt, eine entsprechende Farbe und Stärke des Tones hervorruft, die Schnelligkeit der Tonfolgen bestimmt, ist es nötig, den physischen Funktionen größte Aufmerksamkeit zu widmen. Ich halte es für richtig, alle möglichen technischen Formeln, die in der klassischen, romantischen und modernen Literatur vorkommen, vor dem Werkstudium zu beherrschen. Auch hier erweist sich eine Einteilung der Formeln für sehr nützlich. Ich stelle folgenden Plan auf:

1. Übungen mit stillstehender Hand, 2. Untersatz, 3. Doppelgriffe, 4. Oktaven, 5. Akkorde, Seitenschlag, Sprünge.

Durch das tägliche Arbeiten auch nur einer Übung aus jedem dieser drei Abschnitte erwirbt man eine umfassende und sicher funktionierende Technik. Es kommt darauf an, täglich alle Bewegungsarten in wenigen Übungen durchzuarbeiten. Es empfiehlt sich, so viele Übungen für jeden dieser fünf Abschnitte zusammenzustellen, daß sie sich innerhalb einer Woche nicht wiederholen. Durch das Üben verschiedener Bewegungsvorgänge fördert man die einzelnen. Hat jemand z. B. im Tonleiterspiel das Gefühl schwacher Finger, so wird die Überwindung dieser Schwäche nicht durch fortgesetztes Spielen der Tonleiter erreicht, sondern durch zusätzliches Doppelgriff- und 0ktavenstudium. Fehlt es im Tonleiterspiel an der Behendigkeit des Untersatzes, so wird man durch Übungen in Dreiklängen und Septakkorden auch da einen besseren Erfolg erzielen. Langanhaltende einseitige Aktivierung derselben Muskelgruppen ermüdet. Je mehr verschiedene, ja entgegengesetzte Spielbewegungen wir trainieren, um so ausgeglichener wird der gesamte Spielapparat. Die innere und äußere Grundhaltung sei immer: Entspannung, Lockerung, sinnvoller Wechsel von Spannung und Entspannung. Dazu gehören nicht nur die Anschlagsarten, sondern auch das Üben in verschiedenen Stärkegraden, von denen ich den leiseren einen großen Vorzug geben machte. Ich beobachte so oft während des Unterrichts, daß Passagen nur in Forteanschlägen durchgehämmert werden; das geschieht in der Absicht, auf diese Weise schneller Fingerkraft zu erreichen. Nichts ist falscher als das! Die einfache Überlegung, daß kein Muskel bei dauernder Anspannung elastisch und damit leistungsfähig bleibt, sollte ein für allemal von diesem Irrtum befreien, ganz abgesehen von der Abstumpfung des Ohres und dem Verbrauch an Nervenkraft. Man versuche einmal, wie schwer eine einfache Tonleiter in gleichmäßigem Pianissimo-Anschlag bei langsamem Tempo zu spielen ist! Wie schwer in der Wiedergabe eines Werkes ein klingendes Piano! Zu einem sinnvollen Üben gehört es ebenso, immer von einem sehr langsamen Tempo auszugehen. Nichts, was sofort schnell geübt wird, sitzt richtig. Durch langsames Bewußtmachen der einzelnen Bewegungsvorgänge gelingt es besser und nachhaltiger, sich zu erinnern. Durch langsames Steigern des Tempos, bis Gehirn und Muskeln an schnellere Reaktionen gewähnt sind, erreichen wir eine wohlklingende und ausgeglichene Schnelligkeit. Hierfür ist auch das Metronom ein guter und objektiver Helfer. Über technische Probleme des Klavierspiels sind seit Ph. E. Bachs "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen" bis zur heutigen Zeit, also in einem Zeitraum von 200 Jahren, so viele Methoden aufgestellt worden, daß es diesen Rahmen sprengen würde, auch nur über die wichtigsten von ihnen zu sprechen. Es gibt viele Methoden, und bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Liszt sprach von nur einer, nämlich der richtigen, und jeder gute Spieler wird sie für sich gefunden haben. Man sollte jedoch zwei Dinge auch beim Arbeiten technischer Dinge nicht vergessen: erstens, das Ohr kontrolliere jeden Ton, den man spielt! Schon bevor man ihn anschlägt, stehe die Vorstellung, so und so sei die Stärke, die Klangfarbe; beim Anschlag kontrolliere man sofort seine Qualität! Und zweitens: eine unermüdliche Phantasie mache auch das technische Üben zu einer erfreulichen Beschäftigung. Niemals sollten auch nur fünf Minuten technischen Übens langweilig sein. Wie viele Stunden unseres Lebens sind wohl schon in stumpfsinnigen Übezeiten abgesessen worden, und damit wurde kostbare Zeit nutzlos vergeudet! Man halte sich nicht sklavisch genau an die vom Lehrer aufgestellten Übungen, sondern erfinde neue dazu für seine Hand und im Hinblick auf die eigenen Fehler. Beobachten, erfinden, lebendig sein, und nicht schon mit Widerwillen an eine Arbeit gehen, die, richtig angefaßt, nur Freude am Fortschritt bringen kann - darauf kommt es an. Und endlich: man sollte sich bemühen, auch technische Übungen so zu spielen, als sei immer ein aufmerksamer Zuhörer im Zimmer, der die höchsten Ansprüche stellt. Erst, wenn man sich so ehrlich und ernsthaft um die handwerklichen Voraussetzungen eines guten Spiels bemüht hat, wird man in der Erarbeitung der Kunstwerke größere Freiheit und Sicherheit erlangen.


Wie erarbeite ich nun ein Werk

Das erste Bekanntwerden sollte durch Lesen geschehen. Diese sogenannte "trockene" Methode kann so weit ausgebildet werden, daß die Musik, die wir lesen, sofort in ihrer Klanggestalt lebendig wird. Es gibt Musiker und gebildete Dilettanten, die an dieser Form zu hören den größten Genuß haben. Sie hat noch den Vorteil, sich mit unendlich vielen Werken bekannt zu machen, die man aus mancherlei Gründen nicht spielen kann. Dieses mit dem inneren Ohre hören bringt uns schneller und tiefer in den Besitz des Werkes. Wer kennt nicht das wichtige Buch "Modernes Klavierspiel" von Leimer-Gieseking und das Kapitel vom Auswendiglernen des Stückes, ehe es überhaupt gespielt wird? Gieseking besaß die Fähigkeit, Musik durch Lesen zu behalten, in so hohem Maße, daß er ihm völlig neue Stücke auf der Fahrt zum Konzert lernte und sie abends hinreißend spielte! Diese geistige Vorstellung spart viel Übezeit ein und bewahrt vor manchem Umweg. Man sollte täglich, wenn auch nur wenige Minuten, auf diese Weise arbeiten; viele "leere" Stunden sind damit auszufüllen. Ehe man mit dem eigentlichem Studieren beginnt, spiele man das Stück durch, suche sich die schwersten Stellen heraus und arbeite in kleinen Abschnitten. Größte Aufmerksamkeit widme man dem Fingersatz! Von ihm hängt es ab, ob das Spiel flüssig, der Spieler die nötigen Reserven behält und der musikalische Ausdruck der richtige ist. Von Bülow wird erzählt, daß er in der Bahn auf einer Konzertreise nach Berlin, wo er an einem Abend die letzten Beethoven-Sonaten spielte, plötzlich aufsprang und rief: "Eben ist mir der Fingersatz eingefallen, nach dem ich schon drei Jahre suche." Der Fingersatz wird sich immer nach den verschiedenen Handtypen richten müssen; was für eine kurze, dicke Hand gut ist, ist es nicht für den langen, schmalfingrigen Typ und umgekehrt. Jeder Spieler muß mit dem Lehrer zusammen und später allein den passenden Fingersatz suchen, ihn beibehalten und - was wichtig ist -aufzeichnen. Niemals Zufallsfingersätze benutzen, sonst wird man immer unsicher bleiben; denn neben dem Erinnerungsvermögen des Ohres und Auges ist das Tastgedächtnis wohl das zuverlässigste.

Hat man nun eine klare Vorstellung von Form und Inhalt des Stückes, sind die technischen Stellen flüssig, ist jeder Ton bedacht und geübt, die einfachste Melodie, die unscheinbarste Baßfigur, so gehe man an ein sorgfältiges Erarbeiten des Tempos. In schnellstem Tempo, wo es gefordert wird, sauber, klar artikuliert und musikalisch zu spielen, das gehört mit zu den schwersten Aufgaben einer guten Pianistik. Wie schon im Kapitel "Technik-Üben" ausgeführt, gelingt kein schnelles Spiel sofort. Langsames Steigern mit Hilfe des Metronoms schafft die Grundlage, auf der sich das elastische und musikalisch lebendige Tempo entwickelt. Man gehe mit der Schnelligkeit nur dann weiter, wenn der ganze Satz oder das ganze Stück in allen Einzelheiten, besonders auch der Dynamik und der Pedalbehandlung, in einem weniger schnellen Tempo bequem sitzt. Man sollte die schnellste Ausführung von der Bewältigung der schwersten technischen Stelle abhängig machen, dann wird nie eine Unregelmäßigkeit im Ablauf eintreten. Zum Schluß sei noch an einen Ausspruch Carl Maria v. Webers, seiner Vorrede zur Partiturausgabe der Oper "Euryanthe", erinnert: "Der Takt, das Tempo, soll kein tyrannisch hemmender oder treibender Mühlenhammer sein, sondern dem Musikstücke das, was der Pulsschlag dem Menschenleben ist. Es gibt kein langsames Tempo, in dem nicht Stellen vorkommen, die eine raschere Bewegung forderten, um das Gefühl des Schleppenden zu verhüten, wie es kein Presto gibt, das nicht ebenso im Gegensatze den ruhigen Vortrag mancher Stellen verlangte, um nicht durch Übereilen die Mittel zum Ausdruck zu benehmen. Beides übrigens, das Vorwärtsgehen wie das Zurückhalten, darf nie das Gefühl des Rückenden, Stoßweisen oder Gewaltsamen erzeugen, es muß stets nur perioden- und phrasenweise geschehen." Wenn man von der Wiedergabe rein motorisch ablaufender Sätze absieht, hat dieses Wort absolute Gültigkeit.

Die richtige Wiedergabe eines Werkes setzt sich aus vielen Komponenten zusammen: natürliches musikalisches Empfinden, zu dem eine ausgewogene Dynamik, ein gutes Tempo gehören, aus einer geistigen Erfassung des Inhaltes, der Form und des Stiles und einer sicheren Beherrschung des Handwerklichen. Das Üben dynamischer Werte sollte nicht vernachlässigt werden. Wie eintönig klingen oft Wiedergaben im grauen Mezzoforte, das in einer Stetigkeit dahinplätschert und den Hörer in lähmende Langeweile versetzt. Wer in der Lage ist, die große Skala dynamischer Werte, die auch das Klavier zu bieten hat, voll auszunutzen, kann das vielgeschmähte Schlaginstrument in die Vielseitigkeit und Fülle eines Orchesters verwandeln!

Stil- und Formgefühl des Spielers resultieren nicht allein aus einer angeborenen Instinktsicherheit, sondern sie lassen sich auch aus der Breite allgemeinen geistigen Wissens entwickeln. Man studiere möglichst jeden Komponisten seit Bach, wenn auch nur einige Werke eines jeden. Jeder Schöpfer hat seinen eigenen unverwechselbaren Stil der musikalischen Aussage und des Handwerklichen. Beherrscht man ein Werk eines Komponisten gründlich, hat man den Schlüssel zu allen folgenden Werken. Man studiere möglichst mehrere Werke verschiedener Komponisten gleichzeitig. Neben einem, dessen Schwierigkeiten, musikalische oder technische, im Augenblick des Studiums bewältigt werden können, arbeite man eines, das man vielleicht erst in einem halben Jahr ganz in Kopf und Finger bekommt. Die "schöpferische Pause" ist ein wichtiger Faktor des guten Übens. Jeder wird schon erfahren haben, daß man trotz guten Übens eines Tages an einem Stück keine Fortschritte mehr erzielt. Der "tote Punkt" ist da! Wer zur rechten Zeit aufhört und nach einer längeren Pause das Studium an demselben Werk wieder aufnimmt, wird feststellen, daß das Stück in der Ruhezeit - wie man sagt - gewachsen ist. Allerdings darf diese Einsicht nicht dazu verführen, bei jeder auftauchenden Schwierigkeit, die man leid ist, die "schöpferische Pause" einzulegen. Stete Kontrolle seiner selbst und eiserne Disziplin schaffen das richtige Maß!

Nun noch einige Anregungen zum Kapitel "Blattspiel": Es gibt hervorragende Blattspieler, den sogenannten "Notenfresser", der seine Stücke rhythmisch und in großem Zuge musikalisch richtig wiedergibt, ohne daran viel geübt zu haben. Oft gehört er dem Typ an, der mit größerer Mühe auswendig lernt. Ihm steht der andere Typ gegenüber, der schon nach kurzem Hören oder einmaligem Ablesen der Noten mit Leichtigkeit auswendig spielt, aber selbst Stücke nur mittleren Schwierigkeitsgrades schwerfällig abspielt. Dieses Unvermögen wird ihm im Beruf sehr hinderlich sein, und jeder sollte daher beizeiten auch die Fähigkeit des flüssigen Ablesens entwickeln. Mit Vergnügen erinnere ich mich an die Blattspielstunden in meiner Studienzeit. Mein Lehrer setzte zwei, drei oder vier Spieler an einen oder auch zwei Flügel, und wir mußten das Wohltemperierte Klavier, jeder eine Stimme, abspielen. Man war sofort gefesselt, da das Werk vollständig erklang und man es auf diese verhältnismäßig einfache Weise, dabei selbst arbeitend, in das Ohr bekam. Bei manchen schlechten Blattspielern verlor sich nach und nach die Scheu vor der Blamage, weil ja bei einem gelegentlichen Versager immer mindestens noch ein anderer spielte und das Spiel im Fluß blieb. Das schnelle Mitlesenmüssen in dieser Form war eine gute Vorbereitung für das Spielen mit anderen Instrumenten. Wir lernten nicht nur das Blattspiel in der notierten Tonart, sondern auch in allen, die sich von ihr bis zu einer großen Terz nach oben und unten entfernen. Als ich mir in jungen Jahren mein Musikstudium durch Korrepetition verdiente, war ich dadurch in der Lage, die oft indisponierten Sänger prima vista in allen gewünschten Tonarten zu begleiten.


Über Repertoire-Üben und Vorspiel

Jedes Werk, das man sich erarbeitet hat, sollte mindestens eine längere Zeit so in unserem Besitz sein, daß man es zu jeder Zeit spielen kann. Es ist ein niederschmetterndes Gefühl, wenn Stücke, die lange und mühevoll erarbeitet wurden, dem Gedächtnis wieder entschwinden. Es gibt nur wenige Spieler, die Stücke, ohne sie inzwischen geübt zu haben, noch nach Jahren auswendig können. Man kann dieses "Auf der Walze halten" bis zu einem gewissen Grad trainieren. Man richte einen Tag in der Woche ein, an dem man ein kleines Repertoire wiederholt. Man versuche zuerst auswendig zu spielen, um zu sehen, was noch vorhanden ist. Dann spiele man nach Noten sehr langsam und konzentriert und versuche sodann noch einmal, auswendig zu spielen. Man wird sehen, wie leicht sich auf diese Weise das Gedächtnis schulen läßt! Voraussetzung ist, daß die Stücke wirklich beherrscht waren. Damit ergibt sich dann auch der Wunsch, einmal anderen vorzuspielen. Auch die Sicherheit des Vorspielens kann man entwickeln und trainieren. Man nehme vor allen Dingen jede Gelegenheit wahr, vorzuspielen, vor allem auch auf anderen Instrumenten und in einer anderen als der gewohnten Umgebung. Gewiß: Schwächen werden sich zeigen, es werden bei mehrmaligen Versuchen immer andere Stellen sein, an denen Versager passieren, bis man zuletzt durch diese Erfahrungen immer sicherer wird und mit mehr Freude, Mut und größerer innerer Freiheit vorspielt. Es hilft auch viel, wenn man das Vortragsstück alle paar Tage einmal morgens, ohne vorher geübt zu haben, so spielt, als säße man vor einem Publikum. Uneingespielt - um zu sehen, wo es hapert! Wie oft wird man aufgefordert, etwas zu spielen, oder muß aus beruflichen Gründen an das Instrument, ohne eine halbe Stunde vorher Übungen gespielt zu haben! Wenn man sich im Hause so damit befaßt, schaltet man immer mehr die Möglichkeit des Versagens aus. Mein erster Lehrer, der Liszt-Schüler Prof. Heinrich Lutter, ein hervorragender Pädagoge, riet mir, ein sogenanntes Memorierbuch anzulegen, in das alle technisch und musikalisch schweren Stellen meines Repertoires eingeschrieben waren, um sie bei jeder Gelegenheit gegenwärtig zu haben. Es ist nicht zu bezweifeln, daß alle guten Leistungen auf wohldurchdachten Arbeitsmethoden beruhen! Die Liebe zur Kunst, Bescheidenheit und Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seinem Werk seien unsere Leitsterne! Dann werden alle Bemühungen einst belohnt sein!


Aufsatz von G. Sott für ihre Schüler, um 1960 Inhaltsverzeichnis


Gisela Sott - Porträt einer Frankfurter Künstlerin

Vortrag von Gerhard Schroth als PDF

Vortrag von Gerhard Schroth am Mittwoch, 22. September 2010, innerhalb der Vortragsreihe „Mäzene, Stifter, Stadtkultur“ der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen Frankfurt

Einleitungstext zum Vortrag

Gisela Sott war eine der bemerkenswertesten Musikerinnen im Frankfurt des vergangenen Jahrhunderts. 1911 in Hannover geboren, kam sie schon als Klavierschülerin zu Alfred Hoehn an den Main, 1948 übernahm sie an Dr. Hoch's Konservatorium eine Tätigkeit als Klavierdozentin, die sie an der Musikhochschule bis 1982 fortsetzte.

Ihre idealistische Gesinnung kommt darin deutlich zu Ausdruck, daß sie ihr gesamtes Vermögen „für junge, begabte Pianisten“ einbrachte. Dieses Vermögen wird von der Frankfurter Musikhochschule verwaltet.

Der Vortrag dieses Abends fußt auf einer freundschaftlichen Beziehung und Zusammenarbeit, die mehr als vierzig Jahre währte. Natürlich soll Gisela Sott auch selbst mit Aufnahmen zu hören sein.

Der Verfasser

Gerhard Schroth studierte Schulmusik, Musikwissenschaft, Germanistik, Romanistik und lehrte anschließend an verschiedenen Schulen und Hochschulen. Von 1977 bis 2002 leitete er die Musikschule Taunus in Eschborn. Als Musikkritiker schrieb er von 1966 bis 1970 für die Frankfurter Neue Presse, seit 1971 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1990 begründete Gerhard Schroth die Reihe  der Eschborner Museumskonzerte und ist außerdem als Liedbegleiter, Kammermusiker und Korrepetitor tätig. Er übersetzte mehrere Bücher aus dem Englischen und Amerikanischen zum Thema Klavierspiel und ist seit einigen Jahren Mitarbeiter des Magazins Taunus Edition.

Der Vortrag

Gisela Sott - Porträt einer Frankfurter Künstlerin

Vortrag von Gerhard Schroth am 22. September 2010 im Holzhausenschlößchen Frankfurt

Gisela Sott war eine außergewöhnliche Frau, in vielerlei Hinsicht. Ihre norddeutsche Noblesse hob sich in Haltung und Diktion im Frankfurter Milieu unübersehbar ab. Hierbei fehlte ihr aber die so oft damit verbundene Kühle und Distanz, im Gegenteil, ihr Drang zu mitmenschlicher Kommunikation, im unmittelbaren Gespräch wie am Telefon, war prägend. Bei aller Anteilnahme am Gegenüber wahrte sie stets eine gewissen Abstand, undenkbar etwa kumpelhaftes Duzen, sie siezte fast immer ihre Schüler. Das Foto bestätigt ihre stattliche Erscheinung, souverän aber nicht herablassend.

Gisela Sott als Musikerin zu bezeichnen wäre ein Understatement: sie lebte durch, in Musik, alles was sie fühlte, sprach, unternahm, war auf sie bezogen. Jeder, der mit ihr zu tun hatte, mußte eine Beziehung zu Musik haben und sei es auch nur als begeisterter Zuhörer. Bemerkenswert war ihre Fähigkeit, sich rasch ein Bild von ihrem Gegenüber zu machen, von seinen Qualitäten, seinen Grenzen; eine Fähigkeit, die sich öfter bewährte. Gegen Dreistigkeit war sie oft wehrlos. Manche enge Freundschaft ging nach vielen Jahren in die Brüche. Von Musikern erwartete sie über technische Qualitäten hinaus die Fähigkeit und Bereitschaft, sich rückhaltlos mitzuteilen, ein künstlerisches Profil wenigstens im Ansatz zu bieten. Verhaltene, sachliche Typen waren für sie Buchhalter.

Wenn Gisela Sott über Kollegen sprach, unterschied sie oft zwischen Schallplatte und Live- Eindruck, etwa bei Gieseking. In gewisser Weise gilt dies auch für sie selbst. So eindrucksvoll die drei CDs sind, die wir der nimmermüden Aktivität Dr. Werner Bockelmanns, alias Bochanski, verdanken, so geben sie nur ein schwaches Abbild ihrer Faszinationskraft, nicht nur aufgrund ihres Alters oder der Produktionsbedingungen - Schnitte waren dazumal selten, im besten Fall gab es Wiederholungen.

Ein Auftritt war für sie ein Spiel auf Leben und Tod, da gab es keine Gnade, kein Schummeln, keine Erleichterung. Gewiß rühren von dieser Überspannung auch gewisse gesundheitliche Probleme bis zu den Herzattacken, die sie 1959 veranlaßten, vom Podium Abschied zu nehmen. So spielte sie nur noch im Studio und im privaten Rahmen, etwa bei den legendären Weihnachtskonzerten im Hause Wagner in Dortelweil. Auch diese Programme legte sie Monate vorher fest und bereitete sie sorgfältig vor.

Die biographischen Daten sind unspektakulär. Als Sproß einer Hannoveraner Familie mußte sie früh,1932, den Verlust des Vaters verschmerzen, umso inniger war die Bindung an die Mutter (Mieze), ein kleines, zierliches aber sehr energisches Persönchen, das zielstrebig allzu enge Kontakte nach außen, vor allem zu den regelmäßig auftauchenden Verehrern, blockierte, so daß Gisela Sott letztlich unverheiratet blieb. Wert legte sie auf großzügigen Wohnraum: das herrliche Palais am Untermainkai 44 in der Nähe des Intercontinental, die schöne Wohnung in der Corneliusstraße ab 1965, schließlich das Domizil in der Oberlindau, das durch den maßlosen Hochhausbau gegenüber unziemlich verdunkelt wurde. Unvergessen ist das Drama mit der kostspieligen aber letztlich unbefriedigenden Schallisolierung. Platz brauchte sie für mindestens zwei Flügel, einige Jahre wich sie in ein Studio im Grüneburgweg aus. Ihren Hunger nach Licht und Luft stillte sie mit Wochenendunternehmungen in den Taunus oder Stadtwald, zumindest aber in den nahegelegenen Grüneburgpark. Ihren früh einsetzenden mannigfachen gesundheitlichen Problemen begegnete sie mit Geduld, täglicher Gymnastik und regelmäßigen Kuraufenthalten in Bad Wildbad, Bad Brückenau (Hotel Regena), Schlangenbad und Schmitten.

Über die frühen Jahre ihrer pianistischen Ausbildung berichtete sie 1999 in einem Interview für die Zeitschrift PianoNews mit einer Ausführlichkeit und Offenheit, wie ich es selten erlebt habe. Sie urteilte mit einer auffallenden Entschiedenheit, ja Schonungslosigkeit, riskierte Irrtümer und politische Unkorrektheiten, bezeichnend für ihre Generation: Musik war das Maß aller Dinge, der brennende Wunsch aufzutreten wischte alle Bedenken fort. Man kann Robert Nemecek nur bewundern, daß er sie zu solch freimütigen Äußerungen provozieren konnte, einige Irrtümer eingeschlossen. Im Rückblick gewinnt das ungewöhnlich umfangreiche Interview Züge eines künstlerischen Vermächtnisses.

Seit frühester Jugend führte sie ein Tagebuch, das einen einmaligen Einblick in ein Musikerleben gibt. Goethes Klärchen könnte Modell für die Auf- und Abschwünge in ihrem Leben gegeben haben „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein, himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt, glücklich allein ist die Seele, die liebt (beileibe nicht nur die Musik).“ Gisela Sott war stark, sie war verletzlich. Wer sie kränkte, hatte es schwer, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Hilfsbereit öffnete sie ihre riesige Bibliothek allen Wünschen, ungeachtet aller Leihlisten könnten die Einbußen mühelos einen Klavierstudenten mit vollem Studienmaterial ausstatten.

Warum konnte Gisela Sott nach 1945 nicht an die hoffnungsvollen Ansätze vor Ausbruch des Kriegs anknüpfen? In dem erwähnten Gespräch mit Robert Nemecek hat sie selbst eine Antwort auf die Frage gesucht. Sie hat in diesem Gespräch Details erwähnt, die sie sonst nie angesprochen hat, etwa das Auftrittsverbot. Die Nachkriegszeit war einmal durch die Sorge um die Existenzgrundlage geprägt, zum andern durch das frustrierende Bewußtsein, nicht die Möglichkeit der Präsentation und damit die Anerkennung zu haben, die ihr zustand. Zeitlebens blieb sie ein Geheimtip für private Zirkel und Insider, wie Rezensionen ihrer CDs bestätigen: als Solistin (als die sie sich in erster Linie fühlte), als Kammermusikerin wie als Pädagogin. Da konnten auch die zahllosen Rundfunkaufnahmen wenig ändern. Neben Solo- und Kammermusikwerken bot sie in neun Jahren zehn Klavierkonzerte: Tschaikowsky Nr. 2, Britten, als Höhepunkt Skrjabin. Funkaufnahmen waren auch die Rettung nach dem Entschluss 1959, aufgrund gravierender Herzbeschwerden nicht mehr öffentlich aufzutreten. Und ein Leben ohne zielgerichtetes Üben war für Gisela Sott undenkbar. Noch heute zeugen die Üb-Tagebücher von der Konsequenz, mit der sie täglich übte: Üben wie Zähne putzen!

Und auf Urlaubsreisen? Zum Reisegepäck gehörte nicht nur der Katzenkorb, ein Notenpack, der studiert sein wollte, sondern auch ein zusammenklappbares stummes Klavier, angeblich aus dem Nachlass Liszts.

Wie einseitig die Frankfurter Musikhochschule von Männern dominiert war, ist heute kaum nachzuvollziehen. Da hatte eine Frau kaum eine Chance, zumal wenn sie unverheiratet war und überdies wagte, auf dem Hochschulpodium häufiger aufzutreten als die Professoren. Aufsehen erregte 1959 die Berufung Branka Musulins auf eine Professorenstelle. Und stellen Sie sich die Dramen vor, die sich abspielten, wenn ein unbotmäßiger Student es wagte, von einem Professor zu einer Dozentin wechseln zu wollen. Bezeichnenderweise feierte Gisela Sott ihre Triumphe auf einem typischen Nebenfeld: der Neuen Musik. Ihre Auftritte für Veranstaltungen von Prof. Lenzewski sind heute kaum zu überblicken. Dennoch erhielt sie erst 1971 den ersehnten Professorentitel, der für sie finanzielle Alterssicherung bedeutete.

Aufschlußreich ist der Blick auf ihr Repertoire. Im Kern war es durch die Jahre bei Alfred Hoehn geprägt. Dank ihres unermüdlichen Fleißes war es weit gespannt, es begann bei den alten Portugiesen, ging über Rameaus Gavotte a-Moll rasch zu Bach: Partita B-Dur, Toccata D-Dur und vor allem Chromatische Fantasie und Fuge. Neben Haydns Variationen f-Moll und ausgewählten Klavierkonzerten Mozarts (d-Moll!) lag der Hauptakzent in der Klassik eindeutig auf Beethoven („Mit Beethoven kann einer zeigen, was er kann, technisch wie musikalisch.“) Lebhaft erinnere ich mich an ein großes Klassenkonzert im Hochschulsaal, bei dem die Konzerte Nr. 1, 3 und 4 im Mittelpunkt standen. Bei den Sonaten spannt sich der Bogen von der Waldstein-Sonate und der Appassionata bis zu den späten Sonaten mit der op. 111 als Gipfel. Dies galt für ihr eigenes Spiel wie für die Werkwahl bei ihren Studenten.

Ein weiterer Schwerpunkt lag im 19. Jahrhundert bei Schubert, Schumann, Chopin, Brahms. Doch bald gewann sie den Eindruck, daß sie es mit dem pianistischen Kernrepertoire schwer hatte. So konzentrierte sie sich bewußt auf den Übergang zur Neuzeit (Janácek, Ravel, Skrjabin, Honegger) und auf die Zeitgenossen (Bartók, Strawinsky, Prokofjew, Milhaud, Frommel), wie die drei CDs bezeugen.

Was war nun das Besondere bei Gisela Sott? Die Biographie gibt nur teilweise Aufschluß: früher Unterricht bei dem Liszt-Schüler Heinrich Lutter, entscheidende Impulse durch Alfred Hoehn, der Fahrten von Hannover nach Frankfurt erforderlich machte. In seiner Klasse war sie die Nummer Eins. Von ihm stammt das System der Anschlagsarten. Es gab Anläufe, sie schriftlich zu fixieren, mir ist kein gelungener Versuch bekannt.

Das Entscheidende ist wohl die Balance zwischen aktiver und passiver Spielbewegung zu erzielen, ein Spielproblem von verschiedenen Seiten her in Angriff zu nehmen, die rhythmische Präzision kraftvoller Finger mit der klanglichen Rundung des Armgewichts zu kombinieren, zugleich den Übprozess zu beleben, ihm die Drohung bloß mechanischen Wiederholens zu nehmen. Der Dresdner Pianist und Pädagoge Günter Philipp hat ganz ähnliche Überlegungen angestellt. Was auf den ersten Blick wie ein enges Korsett wirkt, eröffnet dem Spieler ein breites Feld künstlerischer Möglichkeiten. Schließlich geht es nicht darum, 26 Möglichkeiten mechanisch abzuklappern, sondern jedes Stück, ja jede Passage auf ihre spezifischen Eigenarten hin zu untersuchen, für sie ein sinnvolles Übkonzept zu entwickeln und zugleich einseitige Belastungen des Spielapparates zu vermeiden. Der kreative Akt des Spielers besteht darin herauszufinden, welche Varianten ihm zur Bewältigung der Spielprobleme verhelfen. Weltweit gibt es gewiß unzählige geistige Sott-Enkel, die nicht wissen, wem sie ihr Glück verdanken. Zwei von ihnen sind unter uns, sie werden uns demonstrieren, was hier nur in Worten beschrieben ist.

Kombiniert hat Gisela Sott dieses System der Anschlagsarten mit den Kategorien, die Alfred Cortot 1928 in seinen „Principes rationels de la Technique pianistique“ (Grundbegriffe der Klaviertechnik) entwickelt hat: stillstehende Hand, Untersatz, Doppelgriffe, Akkorde, Sprünge. Schon in ihrem Aufsatz „Vom Üben“ von 1960 hat sie erläutert, wie man dieses System variantenreich einsetzt, zumal wenn es noch Kategorien außerhalb wie etwa Blattspiel einbezieht. Dieses System entwickelt seine Vorzüge auch außerhalb der Spitzensoloklassen. Gerade im pädagogischen Alltag hat es sich bewährt, wie viele Ehemalige bezeugen. Mehrfach hat sie Pianisten mit Spielschäden wieder zu einer schmerzfreien Spielweise zurückgeführt. Und für akute Probleme wußte sie stets einen Fingersatz, eine Übmethode, die zum Erfolg führte. Hier war sie von unerschöpflicher Erfindungsgabe, beflügelt von Hilfsbereitschaft. Ihre Fähigkeit, Brücken zu schlagen und in die Zukunft, weit über ihre Lebenszeit hinaus zu wirken, ist bis heute lebendig, wie dieser Abend beweist.

Google liefert für „Gisela Sott“ 787 Nachweise. Am ergiebigsten ist das von Franck-Thomas Link gepflegte Gisela Sott Archiv. Es bietet neben einem Aufsatz über Leben und Wirken als Hauptquelle das Interview, das Robert Nemecek am 25. und 26. August 1999 mit ihr führte und das im Januar/Februar-Heft 2000 der Zeitschrift PianoNews erschien. Außerdem enthält es den Aufsatz „Vom Üben“, den Gisela Sott 1960 in der Schott-Zeitschrift „Musik im Unterricht“ publizierte, ferner eine Diskographie mit den Pianistischen Kostbarkeiten 1 - 3 sowie eine knappe Schülerliste. Weiterhin kann man bei Google mit Staunen verfolgen, was aus den Schülern Gisela Sotts geworden ist. Seit heute findet sich dieser Text unter den Veröffentlichungen der Frankfurter Bürgerstiftung im Netz.

Gerhard Schroth

http://www.frankfurter-buergerstiftung.de/sites/default/files/Vortrag%20G.%20Schroth_Gisela%20Sott_22.9.2010.pdf

http://www.frankfurter-buergerstiftung.de/node/410


Diskographie

Pianistische Kostbarkeiten, Vol. 1
Gisela Sott, Klavier
Werke von Bochanski, Frommel, Prokofjew, Ravel und Strawinsky
FCD 97265

Pianistische Kostbarkeiten, Vol. 2
Gisela Sott, Klavier
Werke von Bochanski, Borodin, Chopin, Skrjabin und Villa-Lobos
Orchester des Hessischen Rundfunks unter Hermann Michael
FCD 97274

Pianistische Kostbarkeiten, Vol. 3
Gisela Sott, Klavier
Werke von Brahms, Prokofjew, Schumann, Bartók, Honegger und Skrjabin

Inhaltsangabe als PDF

erschienen bei amphion records, München, November 2003, amph 20973 Inhaltsverzeichnis


Vitalnostalgie / Gisela Sotts Klavieraufnahmen

Für Jungpianisten, die heute geradezu zu Tausenden wie am Fließband produziert werden, oft unpersönlich spielen und es in der gnadenlosen Konkurrenz schwer haben, sind die Namen der großen Klavier-Ahnen - Alfred Cortot, Edwin Fischer, Conrad Hansen, Alfred Hoehn - kaum noch ein Begriff. Die Pianistin Gisela Sott, die von 1938 bis 1981 an der Frankfurter Musikhochschule lehrte, entstammt dieser ehrwürdigen Tradition. Über ihren Lehrer Heinrich Lutter, einen Schüler Liszts, hat sie sogar unmittelbar am romantischen Erbe teil. Die CD bietet Aufnahmen aus vier Jahrzehnten - von 1959 bis 1997. Sie ist geprägt von Gisela Sotts unverwechselbarer Persönlichkeit - womöglich auch dies das Kennzeichen einer untergehenden Zeit. Die Werkauswahl mit Prokofiews zweiter Sonate, Strawinskys Etüde op. 7, Ravels rarem Sonatensatz op. posth. (1897) für Violine (mit dem sehr wendigen, feinfühligen Wolfgang Rausch) und Gerhard Frommels Capriccios op. 14 dokumentiert die klassische Moderne als eine Domäne der Pianistin, die selbstverständlich auch das Kernrepertoire von Bach bis Reger beherrscht. Gisela Sott zeigt mit vehementer Brillanz, daß geschliffene Technik kein Privileg heutiger Tastensprinter ist. Darüber hinaus besticht ihr Spiel durch Anschlagskultur, kraftvolle Zielstrebigkeit und eine unnachahmliche Symbiose von Energie und Akribie. Die hervorragend aufbereiteten Aufnahmen verraten kaum historische Patina.

ek., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.11.1999 Inhaltsverzeichnis


Hörproben

S. Prokoview, Sonate Nr. 2 d-moll op. 14 (1914)
2. Satz Scherzo, Allegro marcato 2:01   MP3

I. Strawinsky, Vier Etüden op. 7 (1908)
Etüde Nr. 1, c-moll 1:13   MP3 Inhaltsverzeichnis


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Schüler

Gottfried Bittner studierte von 1971 bis 1976 bei Frau Sott an der Frankfurter Musikhochschule und lehrt seit 1979 an Dr. Hoch’s Konservatorium Frankfurt/Main.

Wolfgang Hess unterrichtet an der Hochschule Frankfurt / Main.

Prof. Bernd Ickert unterrichtet an der Hochschule Frankfurt / Main.

Franck-Thomas Link lebt und arbeitet als Pianist in Limburg und Hamburg.

Prof. Wolfgang Wagenhäuser unterrichtet an der Hochschule Trossingen.

Gerhard Schroth, Frankfurt

Fritz Walther unterrichtet an der Hochschule Frankfurt / Main.

Boris Bergmann war von 1996 - 2000 Privatschüler, lebt als Klavierlehrer und Komponist in Berlin.

Stefan Randa war von 1986 - 1992 Schüler, lebt als Pianist und Produzent in Hanau.

Wir haben hier einige der vielen Schüler von Gisela Sott zusammengestellt, die ihr musikalisches Erbe weitertragen. Die Namen vieler weiterer Schüler sind uns nicht bekannt, weshalb sie in dieser Liste fehlen. Gerne ergänzen wir diese, wenn wir von ihnen erfahren. Inhaltsverzeichnis


Gisela Sott in den 90er Jahren

Dank

Wir danken Frau Hartmann, Frankfurt, die sich aufopferungsvoll um Frau Sott gekümmert hat.

Wir danken Frau Lieselotte Wagner, Bad Vilbel, die Frau Sott über viele Jahre betreut hat und die auch ihren Nachlass verwaltet. Sie hat uns für diese Seite viele Bilder zur Verfügung gestellt und mit vielen Informationen versorgt.

Danke auch an Herrn Dr. Robert Nemecek, Köln, der uns sein kenntnisreich geführtes Interview mit der Sott ungekürzt zur Verfügung gestellt hat.

Herrn Dr. Werner D. Bockelmann, Frankfurt, sei gedankt für seine Arbeit und seinen finanziellen Einsatz, durch die die Veröffentlichung der CDs mit Aufnahmen von Frau Sott erst möglich wurde. Das Erscheinen von Vol. 2 und 3 wurde von hr und SWR, Vol. 3 von der Hochschule Frankfurt / M. unterstützt.

Dank an Gerhard Schroth für die Genehmigung, seinen Vortrag über die Sott hier veröffentlichen zu dürfen.



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Dieses Archiv wurde im März 2002 ins Netz gestellt und zuletzt im März 2015 aktualisiert.

Ulrich Bildstein
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